Seite wählen

Akademie Musiktheater heute

Auswirkungen der Coronapandemie – Interview mit Eva-Maria Höckmayr

Interview

© Martin Baumgartner

Geschlossene Opernhäuser, abgesagte Konzerte und Veranstaltungen, verschobene Produktionen – das Kulturleben steht momentan still. Was bedeutet das für die Kulturschaffenden? Die Akademie Musiktheater heute hat bei der freischaffenden Regisseurin Eva-Maria Höckmayr, dem Intendanten des Landestheaters Coburg Bernhard F. Loges und dem freischaffenden Komponisten Alessandro Baticci nachgefragt.

Im ersten Interview der Reihe schildert AMH-Alumna Eva-Maria Höckmayr, wie sich die Coronapandemie auf ihre Arbeit auswirkt und wie sie damit umgeht.

© Martin Baumgartner

Eva-Maria Höckmayr, Sie sind als freischaffende Regisseurin tätig. Welche Auswirkungen haben die derzeitigen Schließungen der Theater- und Opernhäuser für Sie?

Faktisch sind die beiden nächsten Premieren, auf die ich mich sehr gefreut habe und in die ich viel Energie und Zeit in der Vorbereitung gesteckt hatte, erst mal nicht sichtbar. Ob nur in dieser Spielzeit oder überhaupt nicht, steht noch in den Sternen.

Dass es jemals möglich sein würde, nicht nur ein Opernhaus, sondern alle Theaterhäuser europaweit zu schließen, ist noch immer eine kaum fassbare, ganz ungeheuerliche Situation. Mein ganzes Theaterleben war von der Erfahrung geprägt, „der Lappen muss hochgehen!“. Egal unter welchen Bedingungen, unter welchem Hochdruck, jede Vorstellung wurde gerettet. Emotional waren die Schließungen für mich ein besonderer Schock, weil sie mir klargemacht haben, dass wir uns nun offenkundig in einer absoluten Notsituation befinden.

Sie waren gerade mitten in der Probenphase der Produktion von Karl Amadeus Hartmanns Des Simplicius Simplicissimus Jugend im Rahmen der Osterfestspiele Baden-Baden als Sie von der Absage der Premiere und der Vorstellungen erfuhren. Wie gehen Sie und auch die anderen Beteiligten damit um?

Es war ein Wettrennen gegen die Zeit. Uns war klar, dass die Coronapandemie uns nicht mehr allzu viele Arbeitstage gewähren würde – wir waren szenisch durch und wollten nach der Technischen Einrichtung (TE) in zwei Bühnenproben das Stück bis zum Gesamtablauf fertigstellen und aufzeichnen. Am Tag der TE musste dann leider doch der gesamte Probenbetrieb eingestellt werden; die Verantwortung für die Gesundheit aller Beteiligten wog zu schwer. Mein Ausstatter und ich sahen den Bühnenbildteilen dabei zu, wie sie von der Technik vom Aufbau wieder weggerollt wurden zur vorläufigen Einlagerung. Das war ein sehr bedrückender Anblick, und auch die Techniker waren betroffen von dieser Umkehrung aller üblichen Abläufe. Alle Beteiligten und die Leitung waren traurig, aber auch hilflos und beunruhigt angesichts eines bisher völlig unbekannten Hindernisses.

Was bedeutet die aktuelle Situation für Sie existentiell?

Momentan kann ich das noch nicht genau abschätzen, da noch unklar ist, wie es mit den geplanten Produktionen weitergehen wird. Akut habe ich nun natürlich erst einmal einen großen Verdienstausfall, und hoffe, dass dieser später durch das Nachholen der Premieren ausgeglichen wird. Vorerst muss ich für meine Miete auf meine Rücklagen zurückgreifen.

Schlimmer finde ich die Situation für Sängerinnen und Sänger. Oft sind bei ihnen vertraglich keine Probenpauschalen vereinbart, sondern nur die Gagen für die Vorstellungen.

Welche öffentlichen/staatlichen Hilfsangebote gibt es?

Bisher sind mir nur Töpfe wie die Soforthilfen für zum Beispiel Soloselbständige, Unternehmen bekannt, auf die es einen extrem großen Andrang gab. Bei der Investitionsbank Berlin waren zum Beispiel die Mittel bereits eine Woche nach Bekanntgabe voll ausgeschöpft. Mittlerweile wurde die Mittel aber aufgestockt. Zudem gibt es die Angebote der Künstlersozialkasse (KSK) zur Stundung der Beitragszahlungen und die Möglichkeit der Weiterversicherung, selbst wenn in diesem Kalenderjahr das Mindesteinkommen von 3.900 Euro brutto unterschritten werden sollte.

Sind diese ausreichend?

Gerade freischaffende Künstlerinnen und Künstler, die oft genötigt sind von der Hand in den Mund zu leben, sollten generell grundsätzlicher vom Bund gefördert werden, und nicht nur in Notsituationen. Da würden beispielsweise schon Erleichterungen bei der freiwilligen Arbeitslosenversicherung helfen und auch unbürokratischere Wege – sei es beim Arbeitsamt, der KSK oder dem Beantragen von Mitteln aus Fördertöpfen.

Welche Anpassungen und Veränderungen wären zukünftig sinnvoll, um freischaffende Künstlerinnen und Künstler generell bei plötzlichen und unverschuldeten Krisenfällen zu schützen und abzusichern?

Ich würde vorschlagen einen Fond für Künstlerinnen und Künstler in Not einzurichten, bei dem man einmalig in einer Ausnahmesituation (beispielsweise kompletter Verdienstausfall) unbürokratische Hilfe beantragen kann.

Getragen werden könnte er gemeinsam von den Auftraggebern, wie z. B. den Theatern, und den Auftragnehmerinnen und -nehmern. – Ich könnte mir vorstellen, dass man bei Zustandekommen eines Honorarvertrags eine geringe Prozentklausel der Gage untereinander aufteilt, die in diesen Fond abgeführt wird. So könnte man einen kleinen Ausgleich schaffen, dass die Besserverdienenden für die schlechter Verdienenden einen solidarischen Beitrag leisten, und alle Künstlerinnen und Künstler hätten eine zusätzliche Anlaufstelle in Notzeiten.

Wie blicken Sie in die Zukunft und was wünschen Sie sich?

Ich hoffe, dass die dem Theater verordnete Zwangspause nicht nur einen Dornröschenschlaf bedeutet, sondern die Pause zu einer Erneuerung im positiven Sinne genutzt wird. Inhaltlich und strukturell. Die so oft und lang besungenen Probleme unserer Sparte – sind wir relevant, der schwerfällige Apparat etc. – könnten nun intern genauer und in einem neuen Licht angeschaut werden.

Ich befürchte große Einsparungen der Politik im Kulturbereich und hoffe, dass von Theaterschließungen abgesehen wird; aber irgendeine Verschlankung der städtischen und staatlichen Betriebe werden die wirtschaftlichen Probleme sicher nach sich ziehen.

Sicher entstehen in den nächsten Wochen und Monaten neue Vernetzungen und Formen des Austausch, nicht nur zwischen uns Künstlerinnen und Künstlern, auch innerhalb der Theaterbetriebe und auch zwischen den sonst konkurrierenden Häusern. Der Stillstand ist auch eine dazugewonnene Zeit, und für jede und jeden von uns eine Chance zu überprüfen, ob wir unsere eingetretenen Pfade überall so weitergehen wollen. Wenn das Licht in den Theatern wieder angeknipst wird, sieht die Welt drum herum anders aus – wirtschaftlich, emotional –, “ein vielleicht veränderter Zuschauer” wird uns besuchen. Und ein Theater, das die Zeit hatte, sich ganz auf sich und seine Stärken zu besinnen, könnte neu aufschließen. Jetzt ist die Zeit für das Entwickeln neuer Netzwerke, neuer Formate, neuer Spielformen – nutzen wir sie.

Eva-Maria Höckmayr

Eva-Maria Höckmayr

Ist freischaffende Regisseurin. Operninszenierungen führten sie u. a. an das Deutsche Nationaltheater in Weimar, die Oper Graz oder die Staatsoper Berlin. Sie studierte Theaterwissenschaft, Neuere deutsche Literatur und Philosophie sowie Sprech- und Musiktheaterregie in München. Sie erhielt den Götz-Friedrich-Preis und den NRW-Förderpreis für junge Künstlerinnen und Künstler. Von 2005 bis 2007 war sie Stipendiatin der Akademie Musiktheater heute.

Akademie Musiktheater heute

Ein Projekt der Deutsche Bank Stiftung
amh@deutsche-bank-stiftung.de

So erreichen Sie uns:

Deutsche Bank Stiftung
Börsenplatz 5
60313 Frankfurt am Main

Postanschrift:
Deutsche Bank Stiftung
60262 Frankfurt am Main

Tel. : +49 69 247 52 59 – 0
Fax: +49 69 247 52 59 – 99
office@deutsche-bank-stiftung.de

Impressum

Die Deutsche Bank Stiftung ist eine Stiftung bürgerlichen Rechts mit Geschäftsstelle in Frankfurt am Main. Sie ist im Stiftungsverzeichnis Berlin eingetragen.

Die Stiftung ist als gemeinnützig anerkannt und von der Körperschafts- und Gewerbesteuer befreit.

Dem Vorstand gehören Jürgen Fitschen (Vorsitzender), Christof von Dryander (Stellvertretender Vorsitzender) und Dr. Claudia Schmidt-Matthiesen an.

Geschäftsführerin und besondere Vertreterin ist Dr. Kristina Hasenpflug.

Die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Deutsche Bank Stiftung (gemäß § 27a Umsatzsteuergesetz) lautet DE 815 236 960.